20.06.2021 | 60 Jahre Burgspiele

60 Jahre

Jubiläumsbericht zum sechzigsten Geburtstag

Was 1961 als Gründung eines „Sing- und Spielkreises" durch Bad Schwalbacher Konfirmanden begann, entfaltet heute kulturelle Wirkung weit über die Kreisstadt hinaus bis hin nach Wiesbaden und in den Rheingau. Gerade in den Anfangsjahren wirkten einige günstige Umstände zusammen: neben dem Engagement des ersten Vorsitzenden Karl-Heinz Degenhardt sicher auch die Tatsache, dass bald mit der Burgruine Hohenstein ein wunderbarer Spielort gefunden wurde. Gerade für eine junge Bühne ist die Unterstützung durch bekannte Förderer wichtig; so erinnert sich Degenhardt gern an den seinerzeit sehr bekannten Theater- und Filmregisseur Ludwig Berger, der in den 60-er Jahren mehrfach Aufführungen besuchte und den jungen Aktiven als „väterlicher Freund" Ratschläge erteilte, auch in seinem privaten Domizil in Schlangenbad. Ein von Berger geplantes Stück für den Sing- und Spielkreis konnte leider nicht mehr realisiert werden.

Auch wenn die 70-er Jahre die „Volksbühne Untertaunus", wie sie jetzt hieß, immer wieder auf Tournee sahen, konnte man mit der damaligen Turnhalle in der Pestalozzistraße das erste „feste" Haus beziehen. Mittlerweile hatten sich die Weihnachtsmärchen als zusätzliches Standbein (und Einnahmequelle) etabliert. Ein Brand des Kulissenlagers bedeutete einen Rückschlag, doch Unterstützung durch die Verwaltung „Burgen und Schlösser" ermöglichte schließlich die Errichtung der Naturbühne auf der Burg Hohenstein. Noch unter Degenhardt erhielt der Verein seinen heutigen Namen „Taunusbühne Bad Schwalbach".

Ab 1981 lenkte Karlheinz Krusen die Geschicke des Vereins als Vorsitzender. „Die finanzielle Lage des Vereins war besorgniserregend," fasst er die Ausgangslage zusammen. Zwar konnte die künstlerische Weiterentwicklung weiter vorangetrieben werden, indem z.B. mit Michel Dickoff ein professioneller Theaterregisseur für die Inszenierung des „Talisman" 1980 gewonnen werden, und die befreundete Bühne aus Buochs am Vierwaldstätter See stellte die benötigten Kostüme leihweise zur Verfügung. Aber der Segen von oben fehlte: „Von geplanten 12 Aufführungen konnten wegen schlechten Wetters nur 4 stattfinden," erzählt Krusen. Folgerichtig stand das Stück im nächsten Jahr wieder auf dem Spielplan, allerdings mussten die Kostüme neu angefertigt werden. Dies war die Geburtsstunde des „Nähstübchens", ohne das man sich eine heutige Produktion überhaupt nicht mehr vorstellen kann. Eine Zeltüberdachung für die Burg Hohenstein konnte damals noch nicht realisiert werden. Als wegen Umbaumaßnahmen jahrelang gar nicht auf der Burg gespielt werden konnte,  wurde aus der Not eine Tugend gemacht. Im Einvernehmen mit dem Leiter des Amtsgerichts Bad Schwalbach gelang es Krusen, den Innenhof des Dienstgebäudes, des „Rothenburger Schlösschens", für Freilichtaufführungen zu gewinnen.

An eine Begebenheit denkt Karlheinz Krusen heute noch mit Schaudern zurück: wie die Tochter des damaligen Pächters der Burgschänke sechs Meter tief von der Burgmauer in den Innenhof stürzte – und auf einem Stapel Kunststoffstühle landete, weshalb sie mit dem Schrecken und ein paar blauen Flecken davonkam.

In diese wirtschaftlich problematische Zeit fiel auch das 25-jährige Jubiläum der Taunusbühne. Barbara Zorn, damals Vereinsvorsitzende, erinnert sich, dass für eine angemessene Feier kaum genügend Geld in der Vereinskasse war – und dass trotz guter darstellerischer Leistungen der Zuschauerzuspruch nicht den Erwartungen entsprach. Mit aktiver Unterstützung durch das Land, durch Gremien und Mandatsträger im Rheingau-Taunus-Kreis, die Magistrate von Bad Schwalbach und Taunusstein sowie die Ortsvertretung von Hohenstein, aber auch durch namhafte
Spenden regionaler Unternehmen gelang es, das Blatt zu wenden. „Niemand wollte die Taunusbühne untergehen sehen," weiß Barbara Zorn heute. Und so gab es dann doch eine Geburtstagsfeier im angemessenen Rahmen – und das erste Programmheft. Bei der Konsolidierung des Vereins spielte – neben der Unterstützung durch die lokalen Institutionen – auch die verstärkte Wahrnehmung in der Presse eine Rolle. Im ehemaligen Karl-Lang-Krankenhaus stellte die Stadt der Taunusbühne zwei Räume zur Verfügung. Die im Lauf der Zeit aufgebauten guten Kontakte zu Politik, Verwaltung und Wirtschaft erwiesen sich auch weiterhin als sehr hilfreich für den Verein. Sogar im Haushalt der Stadt Bad Schwalbach war jährlich ein namhafter Betrag für die Taunusbühne eingeplant! Eine großzügige Spende ermöglichte 1987 endlich die Beschaffung einer Überdachung für den Zuschauerbereich auf Burg Hohenstein. Seitdem agiert die Bühne (beinahe) wetterunabhängig, und das Publikum muss nicht mehr befürchten, nasse Füße zu bekommen. Barbara Zorn erzählt mit einem Augenzwinkern, dass die gute Nachricht sie im Krankenhaus erreichte – mit dem Hinweis, jetzt möchte sie aber bitte dann auch ganz schnell wieder gesund werden.

Der Lohn der Mühen ließ dann auch nicht auf sich warten: den Kulturpreis des Rheingau-Taunus-Kreises konnte die Taunusbühne 1995 in Empfang nehmen.

In den 90-er Jahren war die Taunusbühne auf der Suche nach einer neuen Heimstatt, denn das bisherige Clubheim war verkauft worden. Ersatz fand sich in der Erbsenstraße; nach mehreren Umbauten entstand dort aus einem früheren Wirtschaftsgebäude das Clubheim, wie wir es heute kennen. Barbara Zorn wurde 1997 Vorsitzende des Verbandes Hessischer Amateurtheater e.V. und übergab den Vorsitz der Taunusbühne an ihre bisherige Stellvertreterin Brigitte Müller. Was sie im Rückblick auf ihre Amtszeit empfindet? „Dankbarkeit," sagt sie, ohne lange zu überlegen. „Ich habe so viel Schönes erleben dürfen." Und „Anatevka" ist das Stück, mit sie heute noch starke Emotionen verbindet. Einen Regietipp hat sie auch noch. „Müssen," sagt Barbara Zorn, „gibt es im Amateurtheater nicht. Jeder kann und soll nach seinen Fähigkeiten eingesetzt werden."

Als zweite Vorsitzende war Brigitte Müller schon länger in die Vorstandsarbeit der Taunusbühne eingebunden. Sie spricht auch gern von ihrer „2. Familie" - nicht nur, weil ihre eigene Familie bis zu den Enkelkindern die Begeisterung für das Theater im Blut hat, sondern weil ihr die familiäre Atmosphäre so wichtig ist.  Die Taunusbühne ist eben nicht nur eine reine Zweckgemeinschaft. Und wie in jeder Familie gibt es Herausforderungen, die man selbst angehen kann – und Probleme, bei denen man sich besser Hilfe von außen sucht. Da ist es gut, wenn man über kommunikatives Talent verfügt. Weihnachtsmärchen im Kurhaus? Darüber muss mit der Stadtverwaltung gesprochen werden. Probleme mit der Nutzung der Burg Hohenstein als Spielstätte? Da gibt es doch bestimmt eine Lösung! Tatsächlich konnte der Verein mit der Verwaltung der Burgen und Schlösser des Landes Hessen einen Vertrag schließen, in dem die Rechte der Taunusbühne bei der Nutzung als Spielstätte festgehalten wurden. Kein geringer Erfolg für einen regionalen Amateurtheaterverein. Neue Stühle, ein neues Zeltdach: als der Begriff Sponsoring noch gar nicht in Mode war, konnte schon großzügige Unterstützung eingeworben werden.

Und weitere Herausforderungen? Das Grundstück in der Erbsenstraße konnte für den Verein – nach jahrelanger Mietdauer – endlich käuflich erworben werden. Viele Vereinsmitglieder waren an den Umbauten beteiligt, und viele Auflagen mussten erfüllt werden, ehe schließlich auch die heutige Nutzung als Kleinkunstbühne möglich war.

In ihrer langen Amtszeit hat Brigitte Müller viel bewegt, aber eines lag ihr immer besonders am Herzen: das weihnachtliche Märchen für Kinder. Warum? „Weil Kinder ehrlicher sind als Erwachsene," betont sie. Hier kann man an spontanen Reaktionen feststellen, ob man sein Publikum wirklich erreicht hat. In besonders guter Erinnerung hat sie „Urmel aus dem Eis." Aber auch den „Kleinen Muck", als auf die Frage „Wisst ihr denn auch, wer ich bin?" nicht etwa der Rollenname als Antwort kam, sondern „Du bist die Frau Müller aus der Bäckerei."

Etwas Besonderes waren auch die Tourneeinszenierungen, die – im Rothenburger Schlösschen oder anderswo – an wechselnden Orten gespielt wurden. „My Fair Lady" ist ein gutes Beispiel.
Mit großer Wärme spricht Brigitte Müller auch über den verstorbenen Horst Seumel, der über beinahe dreißig Jahre lang immer wieder für die Taunusbühne inszeniert hat, zuletzt „Katharina Knie", ein Stück, das ihr viel bedeutet.  Und mit „Sister Act" verbindet sie die Erinnerung an ein „tolles Nonnenteam".

Über den eigenen Verein hinaus hat sich Brigitte Müller auch in der Verbandsarbeit engagiert. Der Wechsel vom Regionalverband Süd zum Regionalverband Nord des Verbandes Deutscher Freilichtbühnen brachte für die Vereinsmitglieder auch neue Angebote, z.B. die Möglichkeit der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen.

Zum 50-jährigen Jubiläum 2011 war die Lage der Taunusbühne ungleich günstiger als 25 Jahre zuvor. Das Biebricher Schloss gab den grandiosen Rahmen für eine würdige Festveranstaltung ab – sicher ein Highlight in einer ereignisreichen Amtszeit.

Das Jahr 2013 sah die Premiere des Stückes „Endstation" von „Mrs. Toodles' Theatergruppe" auf der Kleinkunstbühne in der Erbsenstraße. Mit diesem Stück gelang es der Truppe aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Taunusbühne, den Kinder- und Jugendtheaterpreis des Landesverbandes Deutscher Amateurtheaterbühnen zu gewinnen, ein großer Erfolg, der als Ansporn für weitere erfolgreiche Inszenierungen diente.

Ab 2016 fungierte Michael Klatte als neuer Vorsitzender. Neue Herausforderungen waren zu bewältigen, nicht zuletzt das Thema Digitalisierung, das auch vor der Taunusbühne nicht haltmachte. Die Vorstandsarbeit wurde in Teilen neu organisiert und gestrafft, ein elektronisches Buchungssystem für die Veranstaltung der Bühne wurde eingeführt, der Internetauftritt professionalisiert – Veränderungen, die nicht einfach waren. Aber Michael Klatte weiß zu berichten, dass durch die sehr gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit im Vorstand, bei der auch die persönliche Komponente stimmte, letztlich alle an einem Strang zogen – und das auch noch in dieselbe Richtung. Legendär wurde in Vorstandskreisen die erste Klausurtagung in Rauenthal, als zu vorgerückter Stunde Klatte und sein Stellvertreter Holger Schön im Weingut Diefenhardt unter dem Beifall der übrigen Vorstandsmitglieder ein flottes Tänzchen wagten. (Natürlich im Zusammenhang mit einer Bitte des Bundesverbandes Deutscher Amateurtheater, auch tänzerische Darbietungen zu dokumentieren). Leider steht entsprechendes Bildmaterial nicht zur Verfügung...

Aber Klatte erinnert sich auch an schmerzliche Momente. Die plötzliche schwere Erkrankung eines Vorstandskollegen war ein einschneidendes Erlebnis.

Weniger dramatisch war, dass der beschlossene Neubau einer Lagerhalle auf dem Gelände an der Pestalozzistraße nicht so schnell durchgeführt werden konnte wie erwartet. Behördliche Auflagen und unerwartete Zusatzkosten verzögerten das Bauvorhaben, dass aber jüngst abgeschlossen wurde –  unter dem neuen Vorstand mit dem aktuellen Vorsitzenden Holger Schön. Dieser sieht den Verein zunächst in der Verantwortung, den guten Namen, den er sich über die Region hinaus gemacht hat, zu bewahren – und damit nicht nur das Erreichte zu erhalten, sondern auch Optimierungspotenziale auszunutzen. „Wir verpassten dem Vorstand eine Struktur, die der eines mittelständischen Unternehmens entspricht. Verantwortungen und Kompetenzen sind klar geregelt. Diese Organisationsstruktur ist Gold wert und hat die Vorstandsarbeit extrem erleichtert," setzt Schön ähnliche Akzente wie sein Vorgänger.  Den Neubau der Lagerhalle sieht er als Investition in die Zukunft. Sorgen bereitet ihm allerdings die Situation der Spielstätte Burg Hohenstein. „Eine Herausforderung ist auch, trotz der derzeitigen ungünstigen Rahmenbedingungen (die Burgruine ist unbewirtschaftet) bei den Freilichtspielen immer noch einen Rahmen zu schaffen, bei dem der Eventcharakter nicht verlorengeht und bei dem unser Publikum sich ein paar Stunden wohlfühlt."

Das einschneidendste Ereignis in Schöns bisheriger Amtszeit ist zweifellos die COVID-19-Pandemie mit ihren Auswirkungen. Wie alle Kultureinrichtungen leiden auch die Amateurvereine, und die Taunusbühne nimmt besonders schmerzlich wahr, wie die Kinder- und Jugendgruppen in ihrer Arbeit beeinträchtigt werden. Auch das geplante neue Ressort „Aus- und Weiterbildung" konnte pandemiebedingt noch nicht eingerichtet werden. Für den Vorstand bedeutet die Corona-Situation massive Zusatzbelastungen. „Was jeder einzelne in dieser Zeit geleistet hat, geht über das zu erwartende Maß deutlich hinaus. Hier muss mal DANKE gesagt werden!" Ganz zu schweigen von den finanziellen Folgen für den Verein.

Welche Perspektiven eröffnen sich für den Verein in den nächsten Jahren?

„Für den Fortbestand der Bühne," meint Karlheinz Krusen, „ist es unerlässlich, breit aufgestellte Jugendarbeit zu betreiben. Dass dies bei uns gelingt, sehe ich mit großer Freude."  Doch auch die Mitgliederwerbung allgemein ist wichtig, denn das „technische Personal" und damit Menschen, die auch neben der Bühne an unterschiedlichsten Stellen für den Verein wirken, zählen ebenfalls zum Kapital der Taunusbühne. Brigitte Müller wünscht sich, dass die Verbandsarbeit im Fokus bleibt und die Mitglieder des Vereins auch darüber informiert werden, was sich auf dieser Ebene abspielt. Die Zukunft, das ist für sie: die Menschen im Verein. Und dieses menschliche Element, da ist sie sich mit Krusen einig, ist besonders wichtig bei der Kinder- und Jugendarbeit.

Michael Klatte sieht die Bewältigung der Pandemiefolgen als vordringlich an. Allerdings nicht allein die finanziellen: „Der Zusammenhalt der Mitglieder geht in einer solchen Situation leicht verloren," macht er sich Gedanken. „Hier muss der Verein aktiv entgegenwirken." Und frei nach dem Motto: „Das Bessere ist der Feind des Guten" mahnt er: „Wir dürfen uns nicht auf vergangenen Lorbeeren ausruhen, sondern müssen immer wieder danach streben, noch besser zu werden!"
Ganz ähnlich sieht es Holger Schön, wenn er meint: „Alles, was aufhört zu wachsen, beginnt schon zu welken." Da jedoch die Kapazität der Burgspiele mit zuletzt etwa 6.000 Gästen ein Maximum erreicht hat, setzt er auf die Schaffung eines Premium-Sponsorensystems mit Kooperationspartnern aus der heimischen Wirtschaft, um neue Wachstumsfelder zu erschließen. Und er hat für die Zeit nach Corona noch weitere Ideen: die verstärkte Nutzung professioneller Fortbildungsangebote zählt dazu, ebenso die stärkere Verzahnung zwischen Kinder- und Jugendgruppen einerseits, dem Vorstand und dem Bereich Erwachsenentheater andererseits. Ein besonderes Anliegen: „Die Zuschauer müssen im Sommer und im Winter ein professionelles Umfeld geboten bekommen." Der Eventcharakter wird immer wichtiger, und dazu gehört es auch, auf der Burg professionelles Catering anzubieten. Da bleibt sicher noch einiges zu tun. Und last but not least, sozusagen als Voraussetzung für alle weiteren Ideen: „Die Ressorts brauchen mehr Mitwirkende." In diesem Punkt dürfte er vermutlich bei all seinen Amtsvorgängern und -vorgängerinnen auf Zustimmung stoßen. - Text: Günter Hinkes